Der "Präpkurs" - Gedanken und Eindrücke
- LebenLiebenMedizin
- 27. Okt. 2018
- 5 Min. Lesezeit
Heute möchte ich ein ernsteres Thema ansprechen. Den sogenannten "Präpkurs". Der Moment, in dem viele von uns erstmals mit dem Tod oder einem Toten konfrontiert werden. Wie reagiert man? Was denkt man?
Ich möchte euch gerne meine Gedanken und Erfahrungen schildern. Wie schon so oft gesagt kann ich nicht für jeden sprechen, sondern lediglich meine Sichtweise darlegen.
Für mich war es nicht das erste Mal, dass ich einen Verstorbenen Menschen sehen sollte. Ich hatte vor dem Studium schon ein Praktikum im Hospiz gemacht und kannte daher meine Einstellung zum Tod, dem Sterben und Sterbenden bzw ihren Angehörigen. Einfach finde ich es trotzdem nicht, wobei mir vor allem der Umgang mit den Hinterbliebenen schwer fällt.
Unser Präpkurs begann also ca in der Mitte des ersten Semesters. Ich glaube das ist der Moment, dem jeder Medizinstudent entgegenfiebert und vor dem gleichzeitig jeder den größten Respekt hat. Immer wieder gibt es Studenten, denen im ersten Moment schwindelig wird oder die Beine kurz wegsacken. Und das ist absolut in Ordnung! Man wird bei der Begegnung mit Verstorbenen immerhin auch mit dem eigenen Tod konfrontiert.
In meinem Fall wurden Gruppen von 16 Studenten einem Körperspender zugeteilt und diese Gruppen wiederum halbiert - eine frühe und eine späte Gruppe. Meine erste Erinnerung ist der Geruch des Formalins, den man schon in der Umkleide wahrgenommen hat. Süßlich-beißend, an sich kein schlechter Geruch, aber trotzdem wird einem dadurch im Magen flau. Es ist der Geruch, mit dem man ab sofort den Tod in Verbindung bringt. Leider verfliegt dieser Geruch auch nicht direkt beim Verlassen des Raumes, sondern man trägt ihn ein paar Stunden ganz unterschwellig in den Haaren, der Kleidung und auch der Haut mit sich. Daran gewöhnt man sich aber, versprochen.

Aus Rücksicht auf die Studenten wurden die Körperspender nicht direkt komplett aufgedeckt, sondern der Kopf und somit das Gesicht zugedeckt gelassen. Ich glaube darüber waren viele sehr froh. Man konnte in den Gesichtern der anderen sehen, dass niemand genau wusste, was er in diesem Moment fühlen und denken sollte. Fühle ich zu viel, ich werde doch schließlich Arzt? Fühle ich zu wenig und bin abgestumpft?
Schon nach wenigen Minuten hatte sich jeder mit der Situation irgendwie angefreundet und die Neugierde gewann Oberhand. Der Präpkurs konnte beginnen und mit jeder weiteren Stunde gewöhnte man sich mehr an die Situation.
Ich glaube ich hatte die erste Stunde komplett durch den Mund geatmet, weil ich den Geruch so furchtbar fand. Irgendwann entschied ich mich bewusst dagegen und merkte wie schnell der Körper sich doch anpasst. Auch an Gerüche. Schon bald habe ich ihn kaum noch gerochen.
Für mich war der Umgang mit den Verstorbenen an sich kein Problem. Ich konnte den Menschen dahinter nicht sehen, bzw kannte weder den Verstorbenen, noch die Angehörigen. Somit hatte ich Gewissheit, dass dieser Mensch jetzt nicht mehr leidet. Das war für mich in Ordnung. Nichtsdestotrotz konnte ich mich bis heute nicht daran gewöhnen, wie kalt Verstorbene werden. Vor allem im kalten Präpariersaal auf den Metalltischen. Dementsprechend gebe ich zu, war ich froh, als der Präpkurs nach 2 Semestern rum war. Ich wollte die kalten Körperspender nicht anfassen bzw aufschneiden, wenn kein Sinn hinter meinen Aktionen war. Ich half ihm damit nicht. Die Lektion, die ich daraus aber mitgenommen habe: Die Anatomie ist nur im Buch schön. Jeder Mensch ist auf seine eigene Art und Weise aufgebaut und ich muss mich bei jedem auf eine andere Ausprägung, Lokalisation, anatomische Varianten etc einlassen. Der Anatomieatlas ist also eine grobe Richtlinie, aber keine feste Vorgabe. Niemals vergessen!
Sehr sehr wichtig fand ich den respektvollen Umgang mit den Körperspendern. Als der Rücken zum Beispiel präpariert werden sollte und die Körperspender auf den Bauch gedreht wurden, konnte ich den Anblick der platt gelegenen Nasen kaum ertragen. Einer anderen Gruppe brach das eine Bein aus der Hüftverankerung, bei wieder anderen brachen Rippen. Für mich eine unschöne Angelegenheit, die ich aber hinter mir gelassen habe mit dem Gedanken, dass diese Personen wollten, dass wir an ihnen lernen.
Bezüglich Tod und Sterben habe ich mir zugegebeneweise wenige Gedanken gemacht während des Kurses. Wie gesagt, ich hatte nur den Körperspender vor mir. Nicht den Patienten, nicht die Angehörigen. Tod und Sterben gingen also voraus. Es wäre aber gelogen, wenn ich sage, dass bis heute keine besonderen Erlebnisse vorkamen, die auch mich und meine Einstellung zu Tod und Sterben änderten. Für mich waren diese Momente einfach wann anders: beim Praktikum im Hospiz und der Arbeit auf der Onkologie und Palliativstation. Dort merkt man wie kostbar Schmerzfreiheit ist, wie kostbar das Gut des "Sterben-dürfen" ist und dass es nie den richtigen Moment dafür gibt. Den Angehörigen wird es nie "leicht fallen" den Verstorbenen gehen zu lassen. Trotzdem gehört es leider dazu. Für uns alle und das wird uns bewusst. Je nachdem wo ihr eure Praktika und Famulaturen absolviert, werden junge Patienten euch vielleicht auch vor Augen führen, dass nicht jeder die Zeit bekommt, mit der er sein ganzes Leben gerechnet hat. Es ist nicht leicht sich diese Gedanken einzugestehen, aber je mehr ihr miterlebt, je mehr ihr seht, desto genauer könnt ihr eure Einstellung zu Tod und Sterben anpassen, um letztendlich guten Gewissens damit umgehen zu müssen/können. Lasst die Gedanken zu, denn nur so werdet ihr einen Weg finden mit ihnen klarzukommen und das Studium, den Job und EUER Leben trotzdem angstfrei zu genießen. Versprochen.
Einer der schönsten und schlimmsten Momente des Kurses war die Trauerfeier der Körperspender. Dies war der Moment, in dem ich die Körperspender kennengelernt habe. Ich konnte sie in den Augen der Angehörigen sehen. Sah das Loch, dass sie hinterlassen haben. Mit diesen Eindrücken, konnte ich verstehen, wie es für die Angehörigen sein musste und ich konnte tatsächlich nicht alle Tränen zurückhalten. Einer der Angehörigen kam mit verweinten Augen auf mich zu, sah mich an und legte mir kurz die Hand auf die Schulte. Da wurde mir klar, dass es für mich so in Ordnung war. Ich kam mit Verstorbenen klar, konnte an ihnen operieren und präparieren, konnte Patienten gehen lassen. Aber solange ich die Menschlichkeit und den Respekt vor dem Leben dieses Menschen bewahren kann ist das in Ordnung und ich hoffe, dass auch dieser trauernde Angehörige ein bisschen Freude dadurch empfinden konnte, dass es sogar den Medizinstudent nicht kalt lässt.
Ein letzter Gedanke: Egal wie sehr ihr glaubt euch im Griff zu haben, mit all den Erfahrungen, Gedanken und Situationen. Sobald es eure Angehörigen sind, könnt ihr nicht mehr so rational denken. Vergesst nie, dass die Angehörigen eurer Patienten in genau dieser äußerst schmerzhaften Situation sind. Sie alle verdienen eure aufrichtige Zeit, eine freundliche emphatische Begrüßung und Verabschiedung und vernünftige Informationen über den Zustand ihrer Angehörigen. Ganz egal wie beschäftigt ihr als Arzt irgendwann seid oder wie gut oder schlecht eurer Tag ist. Die Zeit muss sein und diese Zeit, die wir den ANgehörigen widmen, schulden wir jedem Verstorbenen.
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