Studimama-Medizinstudium mit Kind(ern) Gastbeitrag von S.B.
- LebenLiebenMedizin
- 26. Nov. 2018
- 7 Min. Lesezeit
Ich wurde von meiner Lieblingskommilitonin gebeten, mal aus meinem Leben zu berichten und das will ich hiermit tun: Auch ich studiere Humanmedizin im 7. Semester, aber ich bin doch ein kleiner Paradiesvogel unter den Medizinstudis hier. Das liegt zum einen an meinem Alter: 37 ist hier schon außerhalb der 1., vermutlich auch der 2. Standardabweichung zum Durchschnittsalter ;). Dieses hohe Alter während des Medizinstudiums liegt mitnichten am „Hochschulstart“, sondern daran, dass ich nach dem Abitur erstmal ein ganz anderes N.C.-Fach studierte, nämlich „Dolmetschen und Übersetzen“. Medizin fand ich zwar auch megainteressant, aber ich konnte nicht mit dem Tod umgehen und fühlte mich damit völlig fehl am Platze. Also widmete ich mich meiner anderen Leidenschaft, den Sprachen.
Nach erfolgreichem Erststudium gab es sogar noch ein Aufbaustudium und sogar eine Doktorarbeit wurde begonnen (die sollte ich bei Gelegenheit mal fertig schreiben…). Und dann wollte es das Schicksal so, dass ich Medizin-Erstis in Terminologie unterrichtete. So mit Ende 20 konnte ich auch langsam besser mit dem Tod umgehen – dazu beigetragen hat sicherlich mein Nebenjob in einem Altenheim.
Wie dem auch sei: Ich war Single, hatte jede Menge Zeit und begann ein Medizinstudium in Teilzeit (neben Jobberei und Forscherei). Dazu pendelte ich anderthalb Stunden hin und auch wieder zurück – Biochemie morgens um 7:30h war da eine echte Hausnummer und ich könnte nicht behaupten, dass ich irgendetwas in den Seminaren gelernt habe, nachdem ich um 3:15h hatte aufstehen müssen. Naja... Ein hoch auf die Bürokratie… :-/

Dann kam plötzlich mein jetziger Mann um die Ecke. Wham! Der läuft nicht weg, der ist toll, das ist was ganz Großes, der will auch Kinder wie ich und überhaupt. Als wir heirateten, war ich noch 31 und irgendwo in der Vorklinik unterwegs (mein Vater war zwischenzeitlich schwer erkrankt und diese Krankheit hatte mich anderthalb Jahre aus dem Studium katapultiert). Medizinstudium zu Ende machen und dann mit der Familienbildung beginnen? Naja, Eizellen bilden sich ja nicht neu, wer weiß, ob es so einfach klappt und außerdem müsste ich dann jahrelang weiterhin ohne Kinder leben. Och nööö… Lieber gleich versuchen. Und wenn ich dann das Studium nicht schaffe? Dann habe ich ja immer noch meine beiden vorherigen Hochschulabschlüsse. Also gesagt, getan. Wir entschieden uns also sehr, sehr bewusst dafür, „es“ zu versuchen! „Es“ klappte auch recht schnell und somit wurde ich noch vorm Physikum, aber immerhin schon mit 32 Jahren, Mutter.
Physikum mit (nicht durchschlafendem!) Baby zu versuchen erwies sich in meinem Falle jedoch als aussichtslos… Ich war so gut, ich durfte ein Semester später nochmal antanzen. Obwohl ich sehr strukturiert und fleißig lernte, blieb wenig hängen und ich ärgerte mich wahnsinnig, dass ich doch nicht so blöd sein könnte. War ich plötzlich gealtert, dass ich mir nichts mehr merken konnte? So als extrem reifes Semester? Aber meine (erste) Tochter oder ihre Natur oder das Schicksal oder was auch immer hatte Erbarmen mit mir: Zwei Wochen vorm zweiten Physikumsversuch begann mein Liebling durchzuschlafen. Was ich mir in diesen zwei Wochen merken konnte, war mehr als in den acht Monaten zuvor, in denen ich eisern gelernt hatte. Im Mündlichen ließ ich mich leider völlig auseinandernehmen. Es war wirklich frustrierend und Biochemie und ich werden wohl niemals eine enge Freundschaft schließen. Es half nichts. Mündlich also zum dritten und letzten Mal. Alles mit Kind und diversen Jobs (ja, so ein Studium, ein Leben und ein Kind wollen verdient werden und auch wenn mein Mann selbst an einer Uni arbeitet, fände ich es nicht fair, alle Kosten auf ihn abzuwälzen… ginge wohl auch gar nicht) – es war nicht leicht, aber ich hatte es mir ja so ausgesucht. Und außer dem Stress war es wunderschön. Wir genossen unser Kleinkind und unsere Ehe. Vor der Geburt hatten wir uns mustergültig versprochen, erstmal zu gucken, wie gut wir mit unserem Kind zurechtkamen und ihm gerecht wurden – zeitlich, nervlich und auch finanziell; dann wollten wir entscheiden, ob wir ein weiteres Kind wollten. Zumindest ist das die offizielle Version. Die inoffizielle ist wohl eher die, dass schon viel Schlimmes hätte passieren müssen um uns unseren Kinderwunsch auszutreiben. Beide gehen wir darin auf, lieben Kinder, Familienleben etc.
Ihr ahnt es sicherlich schon: Es kam, wie es kommen musste und wir entschieden uns, „es“ wieder zu versuchen. Wenige Wochen vor dem letzten Physikumsversuch herrschte auch eine leicht fatalistische Stimmung: entweder bestehen und weiter studieren oder aber nicht bestehen und weiter übersetzen, vielleicht mal in einem Angestelltenverhältnis statt freiberuflich, das wäre mal nett. Jedenfalls würde sich die Unsicherheit der letzten Zeit in Wohlgefallen auflösen. Schicksalhaft war in diesem Zusammenhang vielleicht auch, dass ich 35 wurde und gleichzeitig die Laktationsamenorrhoe aufhörte. Also legten wir „es“ darauf an und ich wurde wenige Wochen vorm mündlichen Physikum schwanger. Schwangere und stillende Mütter haben an Formalin getränkten Körperspenderinnen und Körperspendern nichts verloren und müssen an Plastik geprüft werden, worauf ich durch die Stillzeit ja ohnehin schon hingearbeitet hatte. Aber – oh je – an meiner Uni finden solche Prüfungen zwar am Plastik, aber prinzipiell im Gebäude der Anatomie statt. In der Anatomie riecht es aber überall nach Formalin. Wie durchdringend der Geruch ist, war mir im unschwangeren Zustand nicht aufgefallen. Im frisch schwangeren Zustand führte dieser „Gestank“ bei mir zu heftigem Erbrechen (Erbrechen hatte ich sonst nicht in der Schwangerschaft, nur bei Formalin und ich hatte nicht damit gerechnet). Meine Uni weigerte sich, mich in einem anderen Gebäude prüfen zu lassen und so fand das mündliche Physikum statt in der 7. SSW in der 34. SSW statt. Es war eine sehr „lustige“ Prüfung: Mein Selbstbewusstsein war überragend für das, was da vor mir lag, denn ich wusste ziemlich gut, dass da ein paar Wochen später eine noch viel krassere Aufgabe vor mir liegen sollte. Deswegen herrschte ein klein wenig eine „so-what-?-Haltung“. Im Vorfeld meinte ein Prof., er finde es ja toll, dass sich „junge Frauen in so einer Situation dann für das Kind entschieden“. Ich ließ ihn in dem Glauben, dass ich Anfang 20 und die Schwangerschaft ungeplant war, wurde zwar nicht von ihm geprüft, aber hatte was zum Grinsen. Jedenfalls kugelte ich da dann doch schon höchst schwanger in der Anatomie auf und bestand relativ locker und sogar mit einer ganz guten Note. Meine (zweite) Tochter brachte sich auch gut ein: Sie versetzte mir irgendwann während der Prüfung mal einen kräftigen Tritt in die Leber, ich verzog schmerzverzerrt das Gesicht, fasste mir an den Bauch und… mein Anatomieprüfer bekam tellergroße Augen, seine Kollegen ebenfalls. Ich beruhigte die drei Herren, dass das keine Wehen, sondern bloß ein Leberhaken gewesen sei. Naja, meinte einer ganz ängstlich, das könne ja immer mal sein. Ich meinte dann: „Ja, aber nicht heute. Mein Sympathikus steht am Anschlag. Da gibt’s keine Geburt.“. Der arme Prof. hatte immer noch Angst (Man überlege sich: Wehen! Mitten in der Anatomie! Das hätte was von Leben! Und was könnte man da bloß tun? Die Frau in den Kreißsaal rollen, hätte ich vorgeschlagen, aber egal). Ich bestand das Physikum, die Profs waren erleichtert, dass sie an diesem Tag nicht noch Geburtshilfe hatten leisten müssen und plötzlich war ich also „cand.med.“ und ein paar Wochen später sollte ich Zweifach-Mama werden.
Mein Dekanat war leider mal wieder nicht hilfreich. Ich meldete mich gleich am Montag (Physikum war Freitag Nachmittag) und wollte mich hinsichtlich klinischem Studium mit Kind beraten lassen, weil ich ja nicht so häufig an die Uni fahren könnte (anderthalb Stunden hin, anderthalb Stunden zurück). Reaktion meines Dekanats: „Entsprechend Ihren Wünschen haben wir Sie für das kommende Semester gestrichen.“ What?! Ich war zu dem Zeitpunkt ja schon sehr, sehr schwanger und hatte logischerweise auch noch gar keine Ahnung von dem neuen Studienabschnitt. Also fand ich einfach nicht die Kraft, aufzubegehren. Einzelne Fächer konnte ich auf eigene Faust überzeugen, mich doch bitte, bitte „mitspielen“ zu lassen. Das waren Fächer mit Einzelterminen, die entweder gleich zu Beginn oder erst ganz am Ende der Vorlesungszeit lagen. Die ersten Termine nahm ich also noch schwanger wahr; einige wenige besuchte ich dann ohne Kind, als mein Mann noch Elternzeit hatte und mitkommen und auf unsere Kleine aufpassen konnte, aber die meisten dieser Termine besuchte ich dann doch mit Kind. Im Laufe der Zeit wurde es für mich immer selbstverständlicher, mit Baby durch Hessen zu reisen und Seminare und Praktika zu besuchen. Anfangs ging ich mit der Kleinen „nur“ zu nachmittäglichen Praxisübungen von Studierenden für Studierende, bei denen uns höhere Semester unterrichteten – da war die Hemmschwelle, die ich innerlich überwinden musste, niedriger. Auch zu BLS und ALS konnte ich das Baby gut mitnehmen – es lag in der Babyschale und guckte interessiert, aber völlig verständnislos zu, wie Mama sich im Reanimieren übte. Gegen Ende des Semesters wollte ich eigentlich gern zumindest ein paar Klausuren schreiben – eben die, für die ich keine Pflichtveranstaltungen verpasst hatte. Aber mein geschätztes Dekanat tat so als bekomme es keine Emails von mir. Sogar ein Einschreiben meinerseits blieb unbeantwortet. Auch für die Termine zu Beginn des neuen Semesters konnte ich nichts erreichen. Irgendwann kam ich dann auf die glorreiche Idee, bei einer neuerlichen Mail an „mein“ Dekanat mal die Frauenbeauftragte der Universität ins Cc zu setzen. Zwei Tage später bekam ich eine Mail von meinem Dekan, in der er mir quasi einen roten Teppich ausrollte. Für die Klausuren war es zwar zu spät, aber fürs nächste Semester bekam ich z.B. eine Veranstaltung erlassen und ansonsten wurden mir wann irgend möglich keine Randstunden am späten Abend oder frühen Morgen gegeben. Ich nahm diese Erleichterung, die übrigens rechtlich auch so vorgesehen ist, dankbar an. Pflichtveranstaltungen wurden mit Baby besucht. Das Baby wuchs und war bald nicht mehr zu halten – weder in der Babyschale noch in Tragesystem noch sonstwie. Wenn es gar zu bunt wurde, gingen wir raus um die anderen Studis nicht zu stören. Ansonsten wurde mein Kind als „tapfere kleine Frau“ vom Prof. bewundert. Auch nett. Das Semester lief schon wesentlich besser. Aber mit immer agiler werdendem Kind war irgendwann doch das Ende der Fahnenstange erreicht und zwar glücklicherweise ziemlich am Ende des Semesters. Informationen über Pflichtveranstaltungen, Ansprechpartnerinnen und –partner, Klausuren, Stuktur von Stundenplänen u.ä. erhielt und erhalte ich immer noch von einer sehr, sehr lieben Kommilitonin, mit der ich mal zusammen aufs Physikum gelernt und die bestanden hatte, als ich anfing meine Ehrenrunden zu drehen.
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